War der Wiener Sport-Club antisemitisch? (Artikel aus der ballesterer Jubiläumsausgabe #100)

Vielen Dank an Ballesterer FM und Georg Spittaler für die Möglichkeit unten stehenden Artikel auf unserer Website zu veröffentlichen:

War der Wiener Sport-Club antisemitisch?

Text: Georg Spitaler

Von Pogromversuchen und wüsten antisemitischen Exzessen schrieb die sozialdemokratische Arbeiter- Zeitung im März 1927 anlässlich eines Matchs zwischen der zionistischen Hakoah und dem Wiener Sport-Club. Das Spiel hatte nach vier Ausschlüssen mit wilden Raufereien auf den Rängen geendet. Antisemitismus war auf den Fußballplätzen Wiens zu einem alltäglichen Phänomen geworden. Dabei war der Zugang für Juden im Fußball offener als in anderen Sportarten. Bei den Turnern, im Alpinismus, dem Skiverband oder vielen Rudervereinen gab es schon in den 1920er Jahren Arierparagrafen. Außerhalb Wiens waren solche antisemitischen Regelungen auch bei Fußballvereinen verbreitet, bei den größeren Wiener Klubs gab es hingegen jüdische Mitglieder. Eine Ausnahme stellte der Wiener Sport-Club dar.

INFORMELLER AUSSCHLUSS

Zwar existierte beim WSC wohl kein schriftlicher Arierparagraf; ein Verein, der eine Wurzel seiner Fußballsektion bildete, die 1900 gegründete Deutsche Jungmannschaft Währing, hatte aber einen solchen gehabt. Mitglied des aus der „Tischgesellschaft“ Wodanbund hervorgegangenen deutschen Sport- und Geselligkeitsvereins konnten „nur Deutsche“ werden. Aber auch ohne Arierparagraf gab es unter den WSC-Funktionären der Zwischenkriegszeit keine Juden. So lautet ein Zwischenergebnis eines Forschungsprojekts über jüdische Funktionäre im Wiener Sport. Für den Historiker Bernhard Hachleitner, selbst ehemaliger Vorsitzender der „FreundInnen der Friedhofstribüne“, ist vor allem überraschend, dass sich beim WSC vor 1938 auch keine Konvertiten fanden – also Personen, die aus der jüdischen Kultusgemeinde ausgetreten waren. Er verweist auf komplizierte Aufnahmeregeln für ordentliche Mitglieder. Diese sahen eine fünfjährige außerordentliche Mitgliedschaft oder Jugendmitgliedschaft vor, zusätzlich auch eine Zustimmung der Klubleitung mit Dreiviertelmehrheit. „Durch diesen Aufnahmemodus kann ein Verein recht gut regulieren, wen er aufnimmt und wen nicht“, sagt Hachleitner. Dass dabei auch ideologische Fragen eine Rolle spielten, lässt ein WSC-Einladungsschreiben vermuten, in dem einem zukünftigen Mitglied bescheinigt wird, über eine „freundliche Gesinnung für das deutschchristliche Volkstum“ zu verfügen.

ANTISEMITISCHE AUSSCHREITUNGEN

Meist fanden Ausschreitungen auf den Fußballplätzen ihren Ausgang bei Ereignissen auf dem Feld. Gerade wenn die Hakoah beteiligt war, unterschieden sich die Interpretationen der Krawalle in den Medien aber je nach politischem Standpunkt. Wie der Historiker Michael John schreibt, häuften sich antisemitische Übergriffe in Wahlkampfzeiten. Die Vorgänge auf den Fußballplätzen wurden aber nur von der sozialdemokratischen Presse explizit mit dem politischen Antisemitismus des Gegners – der Christlichsozialen und ihrer großdeutschen Verbündeten – in Verbindung gebracht. Das galt gerade für Spiele des WSC, bei dem viele Funktionäre den Christlichsozialen nahestanden. Der für seinen politischen Antisemitismus bekannte Leopold Kunschak war etwa seit 1922 Mitglied.

Im November 1923 wurde ein Spiel zwischen der Hakoah und dem Sport-Club nach drei Ausschlüssen abgebrochen, wie 1927 kam es zu Ausschreitungen. Das Sport-Tagblatt führte die Ereignisse auf den Vereinsfanatismus der Anhänger zurück. Die zionistische Wiener Morgenzeitung schrieb: „Menschen, die sich zu einer politischen Partei bekennen, welche die Duldsamkeit zu ihren Grundsätzen aufgestellt hat (gemeint sind die Christlichsozialen, Anm.), gebärden sich wie die ärgsten Radau-Antisemiten. Schimpforgien, in denen das Wort ‚Saujud’ immer wiederkehrte und wilde Drohungen konnte man von allen Seiten vernehmen.“ Die Vereinsleitung der Hakoah drohte nach dem Spiel, sich aus der Meisterschaft zurückzuziehen. Im deutschnationalen Neuen Montagblatt wurde die Schuld aber dem „randalierenden“ Hakoah-Anhang und der „Disziplinlosigkeit“ ihrer Spieler zugeschoben. Die Arbeiter-Zeitung hingegen polemisierte gegen den WSC, der seine Popularität bei den „‚schlagenden’ Lercherln von Hernals“ habe, „waschechte Hakenkreuzler, die es – wie’s Hakenkreuzler immer pflegen – nachher natürlich nicht gewesen sein wollen“.

Ähnliche Berichte sind im März 1927 im Vorfeld der Nationalratswahlen zu lesen, als die Arbeiter-Zeitung davon schrieb, dass antisemitische Frontkämpfer, deutschnationale „Bundesgenossen“ des christlichsozialen Kanzlers Ignaz Seipel, auf der Hohen Warte aufgetaucht seien: „Das Spiel begann und fast jede Aktion der Hakoahleute wurde von dem Geheul der antisemitischen Banden begleitet: ‚Jüdischer Bankert!‘, ‚Binkeljud!‘, ‚Auf nach Zion!’, ‚Tret‘ts dem Hebräer ‘n Bauch ‘nein!‘“ Das Sport-Tagblatt titelte hingegen: „Raufereien zwischen fanatischen Klubanhängern, aber keine parteipolitischen Demonstrationen.“ Auch der Wiener Fußballverband dementierte den politischen Hintergrund der Ausschreitungen, er sei „fest entschlossen, alles zu tun, um nicht etwa die leidenschaftliche Wahlpropaganda auch auf die Sportplätze übergreifen zu lassen“.

SPORTLICHER VERKEHR

Gehörten antisemitische Beschimpfungen auch beim Sport-Club-Anhang zum Repertoire, so ist die Haltung der WSC-Vereinsfunktionäre zur Hakoah komplizierter. Bernhard Hachleitner verweist darauf, dass es keinen Hinweis auf Antisemitismus in den Vereinspublikationen gibt. Zum Arierparagrafen sind jedoch einige Artikel von Willy Schmieger überliefert. Der Sportjournalist hatte als Aktiver für den WSC gespielt und war bis 1925 Fußball- Sektionsleiter. In dem von ihm redigierten Illustrierten Sportblatt hieß es 1922: „Der Sportklub hat keine Juden unter seinen Mitgliedern; er hat zwar nicht den berühmten und berüchtigten Arierparagrafen in seinen Satzungen, die verschiedenen Wurzeln des Vereines sind aber selbst auf demselben Standpunkte gestanden.“ Die lange Tradition sei „stärker als ein gedrucktes Wort und heute bereits in Wien als eine Selbstverständlichkeit angesehen“. Dennoch bestünde kein scharfer Gegensatz zur Hakoah: „Denn wenn auch naturgemäß die sportliche Rivalität der beiden Vereine durch die angeführten Umstände noch genährt wurde, so blieb es doch zwischen ihnen immer bei der vornehmen Art der Kampfesführung.“ Auch die jüdische Wiener Morgenzeitung schrieb im Mai 1922, die beiden Klubs verbinde trotz der unterschiedlichen Zusammensetzung eine „aufrichtige  Freundschaft“. Das ginge darauf zurück, dass „die Dornbacher schon zur Zeit, als die Hakoah zweit- und drittklassig war, mit ihr Wettspiele austrugen“. Tatsächlich sollten bis 1938 25 Freundschaftsspiele stattfinden, zum 40. Jubiläum des Sport-Club 1923 überreichte die Hakoah dem WSC einen prunkvollen Wimpel.

In seinen Ausführungen zum Arierparagrafen argumentierte Schmieger überraschend: Als der Deutsche Sportverein Leoben im Oktober 1923 wegen der Weigerung, gegen Hakoah Graz anzutreten, aus dem Steiermärkischen Verband ausgeschlossen wurde, war es vermutlich Schmieger, der im Illustrierten Sportblatt von Dummheit und Borniertheit der Leobner schrieb. Im Hinblick auf den Arierparagrafen im Skiverband hieß es: „Der Verein kann tun, was er will und seine Mitglieder aussuchen, wie es ihm passt, der Verband hat allen zugänglich, unparteiisch und unpolitisch zu sein. Jedes Abweichen von diesem Wege ist ein Schritt zum Abgrund.“

BODENSTÄNDIGER BEZIRKSVEREIN?

Die politische Einordnung des WSC bleibt also schwierig, Grad und Charakter des vereinsinternen Antisemitismus sind schwer fassbar. Im Austrofaschismus, als Sportvereine wegen nationalsozialistischer Betätigung aufgelöst wurden, attestierten die Überwachungsprotokolle der Polizei dem Sport-Club, ein „bodenständiger Bezirksverein auf streng bürgerlicher Grundlage“ zu sein.

Die Bezeichnung „bodenständig“ war im Wiener Fußball gleichbedeutend mit „nicht jüdisch“. Nach 1945 bezeichnete der sozialistische Politiker Rudolf Pöder, selbst Anhänger und späterer Präsident des WSC, den Sport-Club der Zwischenkriegszeit als antisemitischen Kerzerlschlucker-Verein, wohl um den katholischen Hintergrund hervorzuheben.

Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde in den Sportzeitungen lobend darauf Bezug genommen, dass der WSC „bereits bisher rein arisch“ war. Der Sport Telegraf schrieb, dass der Verein wegen des Arierparagrafen „von Seiten der jüdischen Macher großer Anfeindungen ausgesetzt“ gewesen sei. Dennoch wurde der WSC von der lokalen NS-Sportbürokratie nicht stärker gefördert. Das mag auch daran liegen, dass er damals nicht zu den großen Vier des Wiener Fußballs, Admira, Austria, Rapid und Vienna, gehörte. Hachleitners Resümee: „Der Sport-Club war ein antisemitischer Verein, was aber nicht heißt, dass er ein Naziverein war.“

Dieser Artikel stammt aus der Jubiläumsausgabe 100 des Fußballmagazins ballesterer. http://ballesterer.at/

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